Gast-Beitrag: Warum sollen wir an Pfitzner scheitern?

https://imslp.org/wiki/Von_deutscher_Seele,_Op.28_(Pfitzner,_Hans)

von Frank Jaeger

Es kommt nicht sehr häufig vor, dass kulturpolitische Nachrichten aus Trier bis in meine Heimatstadt München vordringen und auch jetzt ist die Aufregung um eine geplante Aufführung der Pfitznerschen Kantate „Von deutscher Seele“, komponiert im Jahr 1921, immer noch ein regional begrenztes Thema.

Sie hat aber das Zeug dazu, in der gegenwärtigen Debattenkultur erneut das zu werden, was in den vergangenen Jahren schon häufiger zu beobachten war: Exempel eines intellektuellen Scheiterns einer zunehmend diskursunfähigen Gesellschaft, die sich unversöhnlich in widerstreitenden Lagern befindet, unwillig dem Anderen zuzuhören, seine Argumente zu wägen oder den eigenen Standpunkt neu zu überdenken und zu bestimmen. Nein, das „sol lucet omnibus“ und eine gewisse Gelassenheit in den Dingen, die keine existenziellen Fragen unseres Seins betreffen, scheint aus der Mode gekommen zu sein. Hysterische Schnellschüsse und ganz viel Meinung ersetzen öffentlichkeitswirksam das Wissen, das Argument und die Debatte. Gleichzeitig habe ich das unspezifische Gefühl, dass die Neugier auf weniger Bekanntes abnimmt und Abwehrreflexe zu beobachten sind, dem Unbekannten Aufmerksamkeit und Konzentration widmen zu sollen.

Keiner würde wohl behaupten wollen, dass das Oeuvre Hans Pfitzners in unserer Zeit weite Verbreitung findet. Und doch dürfte eines unbestritten sein: Schon immer haben sich Instrumentalisten, Dirigenten und Sänger für die Werke dieses so sperrigen Menschen begeistert. Es ist meine konsistente Beobachtung, dass auch in neuerer Zeit so grundverschiedene Künstler wie Simone Young, Wolfgang Sawallisch, Rafael Kubelik, Ingo Metzmacher oder Christian Thielemann einem „Palestrina“, dem „Käthchen von Heilbronn“ oder eben „Von Deutscher Seele“ auf den Zahn fühlen wollten, weil sie vom künstlerischen Gehalt der Musik begeistert und fasziniert waren. Vom Uraufführungsdirigenten des „Palestrina“, Bruno Walter, ganz zu schweigen.

Und damit kommen wir an einen Punkt der Diskussion, von dem ich eigentlich dachte, dass er überwunden sei. Die Trennung des Werkes und seines Gehalts vom Schöpfer und dessen Wesen. Oder eben – wie vom Antisemitismusbeauftragten des Landes Rheinland-Pfalz soeben vorgeführt – die behauptete Untrennbarkeit. Oder darf ich sagen die zeitgeistkompatible Wohlanständigkeit des lange schon Verblassten als Maßstab heutiger Beurteilung?

Wenn ich lesen muss, die Werke Pfitzners gehörten auf den „Schrotthaufen der Musikgeschichte“, frage ich mich zunächst nur eines: Weil der künstlerische Gehalt nicht reicht oder weil der Künstler  heutigen Standards nicht entspricht? Weiß die dies Behauptende, von was sie redet? Und weil ich gerne mit jedem in den Ring steige, der behaupten wollte, der künstlerische Gehalt des Werkes reiche nicht aus und mir sehr sicher bin gegen dieses Argument zu gewinnen, bleibt am Ende nur noch die Frage übrig, ob Musik dann nicht aufgeführt, eines Künstlers Schaffen dann nicht gewürdigt oder exploriert werden darf, wenn die Person nicht konveniert.

Ja, am Beispiel Michael Jacksons, des „King of Pop“, kann man das Dilemma sehr schön exemplifizieren. Es ist ein sehr schwankendes Brett und stellt uns selbst kein gutes Zeugnis aus, wenn wir jahrzehntelang von seinem Schaffen hysterisch begeistert waren und nun, nachdem die Vorwürfe des Kindesmissbrauchs laut werden, unsere seinerzeitigen künstlerischen Überzeugungen versuchen zu revidieren bis hin zum geforderten Bann der Wiedergabe seiner Hits im Radio. Oder denken Sie an die Diskussion um die Bildabnahme des Gemäldes „Hylas und die Nymphen“ von John William Waterhouse, 2017 in der Manchester Art Gallery, wegen des Vorwurfs der sexistischen Darstellung der Nymphen. Ist das Bild von 1896 nun schlechter gemalt, weil sich unsere Einstellung zur Sexualität 120 Jahre später verändert hat?

Würden wir die Behauptung von Untrennbarkeit von Kunst und Künstler zum Maßstab der Aufführbarkeit erheben wollen, dann hätten wir fürwahr mit Zitronen gehandelt! Dann sähe es finster aus für die Aufführung der Werke Richard Wagners (Antisemit), Richard Strauss‘ (Präsident der Reichsmusikkammer), der Schallplatten und CDs von Karl Böhm (NS Kampfbund für Kultur) oder Herbert von Karajans (NSDAP), die Verbreitung der Bücher von Novalis (hatte Kindfrau), Günter Grass (Waffen-SS) und Rudyard Kipling (Rassist und Imperialist), ja selbst die Ausstellung der Gemälde von Caravaggio (Mörder!), Filme mit Heinrich George (spielte leider auch in „Jud‘ Süß“ mit) oder Zarah Leander (Kollaborateurin). Dass die Physik-Nobelpreisträger Werner Heisenberg und Chemie-Nobelpreisträger Otto Hahn beinahe zu Vätern der deutschen Atombombe geworden wären, ist auch so eine Sache. Aber ich schweife ab…

Als Jurist könnte ich jetzt noch lange darüber schreiben, welche negativen Auswirkungen diese Zensurdiskussion auf die Freiheit der Kunst, das kulturelle Klima in unserem Land oder die Berufsfreiheit der beteiligten Musiker meines Erachtens hat. Aber das ist nicht mein Thema. Mir geht es um die intellektuelle Armut und den Unwillen sich der Widersprüche der menschlichen Existenz zu stellen, wenn wir Werke der Kunst, Literatur und Musik aus unserem öffentlichen Raum verbannen, weil Charakter, Überzeugungen oder Einstellungen des Künstlers so viel kleiner, mieser oder missgünstiger waren im Vergleich zu ihrem künstlerischen Schaffen. Zu lernen wäre aus einem ausbleibenden Diskurs über das Werk und seinen Erschaffer für uns als Gesellschaft dann leider nichts. Und das ist das Scheitern, von dem meine Überschrift spricht.

Sicherlich, einen Anspruch auf öffentliche Förderung einer Aufführung wird man wohl nicht durchsetzen können. Es wäre aber schon hilfreich, wenn sich Personen des öffentlichen Lebens, Mandatsträger, Vertreter öffentlicher Interessen nicht so reflexhaft in ihre Wagenburg zurückziehen würden. Dass man zum Diskurs auch Mut haben muss ist eine triviale Erkenntnis.

Lasse ich dann noch die fast belustigende Episode an mir vorbeiziehen, dass eine geplante Aufführung der Vertonung des „Kommunistischen Manifests“, op. 82 von Erwin Schulhoff, in Trier, der Geburtsstadt Karl Marx‘, zur 200-Jahrfeier seiner Geburt offensichtlich auch nicht konvenierte, habe ich den Eindruck, dass es dort an der Traute unddem Verständnis fehlt und man stattdessen lieber auf vertrautem Terrain wandelt. Das ist vordergründig weniger anstrengend. Dass Schulhoff Jude war und als Verfolgter des NS-Regimes im Internierungslager starb, konnte da auch nicht mehr helfen.

Wollen wir wirklich an Pfitzner oder Schulhoff in unserer Diskursfähigkeit scheitern? Weil der eine Antisemit und der andere Kommunist war? Obwohl beide eine große Bedeutung in der Musikgeschichte hatten? Ohne streitbare Auseinandersetzung mit diesen Werken dieser Künstler wären wir wahrlich ärmer. Zur Auseinandersetzung gehört dann auch, das Werk im öffentlichen Raum zu spielen.

Der Autor Frank Jaeger ist Rechtsanwalt in München und begeistert dilettierender Musiker.

Hintergrund: 

Michael, der Holocaust und ein Trierer Konzert

Die Trierer Pfitzner-Debatte geht weiter

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